Chup Friemert, Produktionsästhetik im
Faschismus. Das Amt "Schönheit der Arbeit" von 1933 bis 1939.
Mit einem Vorwort von Wolfgang Fritz Haug, München (Damnitz Verlag GmbH) 1980
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Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Weimarer Republik - Herausbildung verschiedener Konzepte zur Ausgestaltung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit
1.1. Begründung gesamtgesellschaftlicher Sozialpolitik
1.2. Begründung betrieblicher Sozialpolitik
1.3. Ökonomische Grenzen der Sozialpolitik
2. Faschismus - Zerschlagung der Arbeiterbewegung
3. Ästhetische Versuche in der Produktion
3.1. Herausbildung des Amtes "Schönheit der Arbeit" und seiner Arbeitsrichtungen
3.2. Fachliche Kampagnen
3.2.1. "Sonne und Grün allen Schaffenden"
3.2.2. "Gutes Licht - gute Arbeit"
3.2.3. "Saubere Menschen im sauberen Betrieb"
3.3. Branchenspezifische Kampagnen
4. Inszenierungen des terroristischen Sptaatsapparates
5. Staatliche geförderte Markenbildung "Schönheit der Arbeit"
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Vorwort
Die Erforschung des „Amtes ‘Schönheit der
Arbeit“ ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zum einen werden
von diesem Amt im deutschen Faschismus bestimmte Unternehmerstrategien
staatlich gebündelt und „koordiniert, die gegen die
Aufrechterhaltung von Klassenbewußtsein bei den Arbeitern
gerichtet sind; und solche Strategien zu durchleuchten, ist für
die Lohnabhängigen und für ihre gewerkschaftlichen und
sonstigen Organisationen notwendige Voraussetzung für die
Aufrechterhaltung ihrer Handlungsfähigkeit.
Zum andern ist die Analyse und theoretische Durchdringung der
Aktivitäten von „Schönheit der Arbeit“ fürs
Begreifen des Faschismus wichtig. Dies wird einsichtig, sowie man sich
vergegenwärtigt, worum es hier geht. Halten wir zunächst
fest, worum es nicht geht: die Gewalt. Sie ist vorausgesetzt und bildet
den Hintergrund von allem, was das Amt „Schönheit der
Arbeit“ unternimmt. Die politisch bewußtesten Arbeiter sind
bereits im KZ, Parteien und Gewerkschaften der Arbeiter verboten. Bei
„Schönheit der Arbeit“ geht es um Funktionen, die
komplementär zur direkten Unterdrückung wirken. Die Gewalt
unterdrückt den Widerstand. „Schönheit der
Arbeit“ organisiert auf spezifische Weisen Zustimmung.
Eine Reihe von Maßnahmen stellen Eingriffe in
„ästhetische“ Dimensionen der Produktionssphäre
dar, andre wiederum handfeste hygienische, ergonomische oder
betrieblich-sozialpolitische Reformen. Be- und Entlüftung,
Beleuchtung, tätigkeitsgerechte Einrichtung der
Arbeitsplätze, warmes Kantinenessen – hier handelt es sich
gewiß nicht nur um schönen Schein.
Überdies besaß das Amt keinerlei Einmischungsbefugnis in die
rein privatwirtschaftlich geregelte Unternehmensführung. Daher
mußte es bei der Anregung seiner Maßnahmen stets solche
„Sprachen“ sprechen, die vom Kapitalinteresse am besten
verstanden werden: Entweder die Sprache steuerlicher Anreize oder die
Sprache der Profitmaximierung durch Steigerung der
Arbeitsintensität.
Die erfolgreicheren Kampagnen tragen daher allesamt diesen
Doppelcharakter: betriebliche Sozialpolitik und Steigerung der
Ausbeutungsrate. Trotzdem enthalten sie alle mehr oder weniger eine
Dimension des Reformismus, die nicht nur scheinhaft ist. Jedoch dienen
alle diese realen Elemente der Erzeugung eines umfassenden
ideologischen Effekts, gegründet auf den Schein, es handle sich
beim Faschismus um eine Ordnung auf Grundlage nichtentfremdeter Arbeit.
Protagonist dieser Scheinwelt war der Arbeiter. Damit sollte das,
was Gestapo, KZ und alle andern Formen der gewaltsamen
Unterdrückung vom antagonistischen Arbeiter noch
übriggelassen hatten, umgedreht werden. Es ging um die innere
Unterstellung des deutschen Arbeiters unter die NS-Herrschaft. Der
Interessengegensatz sollte gegensatzlos gelebt werden.
Für die Faschismustheorie ist dieser Zusammenhang von Interesse,
weil die subjektive Übernahme von Unterwerfung bisher kaum
erforscht und begriffen ist. Vor allem von der marxistischen
Faschismustheorie in der Nachfolge Dimitroffs wurde dieser Aspekt
geradezu systematisch vernachlässigt - natürlich nicht
absichtlich, sondern aus theoriestrukturellen Gründen.
Das Problem ist jedoch noch umfassender. Der Zusammenhang der Gewalt
und des Ideologischen im deutschen Faschismus ist bisher insgesamt
ebensowenig
begriffen wie der von Herrschaftssystem und Massenbewegung. Dies
Problem ist schon oft benannt worden, aber bisher keineswegs
gelöst. Um es lösbar zu machen, bedarf es zunächst einer
umfassenden Re-Interpretation der marxistischen Ideologietheorie.
„Schönheit der Arbeit“ bezeichnet einen
Phänomenbereich, in dem solche begrifflichen Anstrengungen sich
exemplarisch bewähren müssen. Die vorliegende
Forschungsarbeit stellt eine Fülle von Material dazu bereit.
Zugleich läßt sich daran ein Nebenproblem erneut
untersuchen: Das Verhältnis von Elementen
rückwärtsgewandter Sozialromantik oder autoritärer
Wertüberlieferungen zu den Aspekten von Modernität,
Rationalisierung und wirtschaftlicher Effektivität, die im
deutschen Faschismus vorangetrieben werden. „Schönheit der
Arbeit“ stellt ein Gebiet dar, auf dem der Gegenpol zum
Traditionalismus, nämlich der Funktionalismus und eine geradezu
„technokratische Ästhetik“ (Rabinbach 1979) propagiert
wurden.
Um die Wirkungsweise des Ideologischen auf betrieblicher Ebene zu
begreifen, müssen wir uns von der Vorstellung lösen,
daß dies vornehmlich über Spruchbänder oder
Führerbilder vermittelt würde. Der angezielte Subjekteffekt
besteht darin, daß die Arbeiter die Bedingungen der Arbeit als
lebenswert annehmen. Angesetzt wird daher an der kulturellen Dimension.
„Als kulturellen Aspekt der Lebenstätigkeit der Massen
fassen wir alle Formen (mitsamt den dazu erforderlichen
Fähigkeiten und Gebrauchswerten), in denen sie ihre Identität
einverstanden kultivieren und das ‘Lebenswerte’ am Leben
vergegenwärtigen.“ (Haug 1979, S. 33) In dieser Dimension,
soweit sie in der Produktionssphäre und den dieser subsumierten
Reproduktionssphären von der Kapitalseite kontrollierbar ist,
setzen die Eingriffe an. Ordnung und Sauberkeit, Grünbepflanzung
und Helligkeit können solche Ansatzpunkte darstellen. Wenn es im
Taschenbuch „Schönheit der Arbeit“ von 1938
heißt, Sauberkeit sei auch „in der inneren Haltung aller
Betriebsangehörigen“ angezielt (S.49, z.n. Rabinbach, S.59),
so wird hier die ideologische Formung eines kulturellen Effekts
beschrieben. Ästhetische Markierungen dieser Art stellen Vorlagen
für kulturelle Identitätsbildung dar. Kultur- und
Ideologietheorie müssen bei der Analyse dieser Phänomene
zusammenwirken.
Friemert hat die kultur- und ideologietheoretische Verarbeitung der in
diesem Buch erforschten Zusammenhänge weitergeführt. In
Verbindung mit dem „Projekt Ideologietheorie“ untersucht er
in einem neuen Aufsatz (vgl. Friemert 1980) die ideologischen Effekte
auf betrieblicher Ebene und das eigentümliche Zusammenwirken von
Staat und Privatwirtschaft. Er analysiert dort, wie ehemals in
autonomen Vereinigungen der Arbeiterkultur ausgeübte kulturelle
Praxen nun unter Anleitung und Orientierung des Staates
innerbetrieblich organisiert werden. Im Zentrum geht es dabei immer um
ein Arrangement, innerhalb dessen die Arbeiter den ideologischen Effekt
durch Eigentätigkeit produzieren müssen. Sei es in Gestalt
der Freizeitarbeit zur Erstellung eines Betriebsschwimmbads, sei es
später in der Nutzung desselben. Einordnung in die
Unterdrückung erfolgt hier in Form von Tätigkeiten, bei denen
die Arbeiter gar nicht an ders können, als ihre selbstzweckhaften
Lebensansprüche in ihnen zu verkörpern.
Berlin-Lichterfelde, Februar 1980
Wolfgang Fritz Haug
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