Entwurf eines Denkmals der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen
Widerstandes
für den Ernst-Thälmann-Platz in Hamburg,
1986
Am 8. April 1986, stellt Chup Friemert auf
einer Pressekonferenz ein erstes Modell für die Gestaltung des
Ernst-Thälmann-Platzes vor, das er gemeinsam mit Prof. Fritz Cremer, Berlin
(DDR), Prof. Alfred Hrdlicka (Wien), Prof. Jo Jastram (Rostock) und dem
Bildhauer Walter Rempp (Stuttgart) erarbeitet hat:
„Die Gestaltung dieses Überbleibsels zum Platz ist in jedem
Fall eine kulturelle Tat. Ernsthaft muß sie auf die räumliche Situation
reagieren, sie aufnehmen und positiv beeinflussen, sie muß aber auch den
vorkommenden Tätigkeiten angemessen sein. Autofahrer sollen den Platz
wahrnehmen können, auch Fußgänger und Besucher. Diese drei Wahrnehmungsweisen
führen zu der Konzeption
- etwas deutlich über der Erde, als Senkrechte in den
Raum zu setzen, das in und aus der Bewegung wahrnehmbar ist,
- etwas Erzählend-episches auf der Erde auszubreiten,
als Gegenüber für Fußgänger,
- etwas Nach-denkliches für Besucher unter die Erde
zu legen.
Der vorliegende erste Entwurf versucht nun, die Fläche
weiterzutreiben, einen Raum auszubilden. Als Wahrnehmungsraum mit verschiedenen
Qualitäten soll er unterschiedlichen Bedürfnissen entgegenkommen und
unterschiedliche Absichten realisieren. Als erstes soll eine Staffelung den
abfallenden Platz gliedern, in deutlich voneinander unterscheidbare Flächen mit
verschiedenen Funktionen. Es wird möglich, entweder am Platz vorbei zu gehen
oder ihn zu betreten.
Das Denkmal besteht aus folgenden Komponenten:
Als Symbol steht raumgreifend von Alfred Hrdlicka eine
Faust, von einem industriellen Gerüst getragen. Beides in gegenwärtigen
Materialien, vielleicht in Edelstahl. Arbeiterbewegung und Industrielles findet
sich hier zusammen. Die Faust ist nicht nur der Gruß der Arbeiterbewegung, es
ist längst ein internationales Zeichen geworden für Befreiung.
Im epischen Bereich hat der Fußgänger eine Figur von Walter
Rempp als Gegenüber, eine Frau, „Im Wind“. Sie ist so platziert, dass sie
gewissermaßen das Entree des Platzes bildet.
Beim Begehen der Fläche trifft der Besucher auf liegende
Reliefs von Jo Jastram. Es ist eine liegende Tür, beidseitig gestaltet. Das
Öffnen bringt bei der Bewegung Innenseiten nach außen, erhabene Reliefs,
Arbeiterbewegung und Widerstand darstellend.
Eine Treppe von Chup Friemert führt in einen Gedenkraum. In
ihm sind Totenmasken von Arbeitern und Intellektuellen, die von den Nazis
ermordet wurden, an den Wänden angebracht. Ein dreieckiger Einschnitt bringt
Tageslicht in den Raum.
In diesem belichteten Einschnitt, der oben das Dreieck der
von den Nazis Verfolgten nachbildet, strebt ein Torso des ‚Aufsteigenden’ von
Fritz Cremer nach oben, die nachfolgende Bewegung des Besuchers vorwegnehmend.
Auf dem
Ernst-Thälmann-Platz in Hamburg versammeln sich am 16. April 1986 rund 1200 Menschen zu einer
Kundgebung.
Es sprechen: der DKP-Vorsitzende Herbert Mies, Pastor Dirk Römmer
von der Gnadenkirche in St. Pauli, Helmut Stein, Mitglied des Präsidiums der
VVN-BdA, Rechtsanwalt Heinrich Hannover und Rudi Bresin, GAL-Abgeordneter in
der Bezirksversammlung Hamburg-Nord. Chup Friemert stellt den von ihm gemeinsam
mit Fritz Cremer, Alfred Hrdlicka, Jo Jastram und Walter Rempp erarbeiteten
Denkmalsentwurf vor. Der DKP-Vorsitzende Herbert Mies und der Hamburger
DKP-Bezirksvorsitzende Wolfgang Gehrcke legen den Grundstein für das geplante
Thälmann-Denkmal, und der Bunker wird geöffnet.
Eröffnungsrede von Chup Friemert:
„Wir leben in der Zeit der Völkerwanderungen, sagt Brecht.
Die Völker wandern – von unten nach oben. Für diese Wahrheit steht auch unser
Denkmalsentwurf. Er zeigt die Gegenwart, die Geschichte und die Zukunft, die
Wanderung, die Herkunft und das Ziel.
Ein Denkmal für die Arbeiterbewegung ist im Gegenstand der
Wahrheit verbunden, nicht der Verklärung, es ist ein Ort der Aufklärung, keine
Einrichtung zur Beugung in Ehrfurcht. Gestalterisch ist es einer Ästhetik des
Widerstandes verpflichtet, keiner der Blendung.
Ein Denkmal der Arbeiterbewegung muß gegenwärtig sein, sich
ins Verhältnis stellen zu den Kämpfen unserer Tage, zum Heute, denn weder Kampf
noch Widerstand sind antiquiert und von gestern, beide sind unbedingt heutig.
Davon hat ein epischer Bereich zu erzählen, eine Ebene auf der Erde, eine Ebene
in der man sich bewegt und auf der man steht. Real, nicht süßlich, in den
Widerständen und Kämpfen, in den Auseinandersetzungen wird dort die
Arbeiterbewegung gezeigt werden.
Aber wir wissen: Arbeiterbewegung ist nicht nur das Heute.
Sicher, wir sind Teilnehmer am 20. Jahrhundert, nicht bloße Jetztgenossen,
sondern eingreifende Zeitgenossen. Deshalb wissen wir um die Geschichte der
Volksmassen, die sich aus den bedrängenden Verhältnissen als bewegende Kraft
herauskristallisiert haben. Von vielen erbitterten Kämpfen wird uns berichtet,
manch einer auf diesem Platz hat hartnäckigen Widerstand bewiesen, doch oft
siegte das Unrecht. Und jede Niederlage der Arbeiterbewegung war eine Niederlage
von Menschen, Niederlage hieß für viele Tod und Ermordung. Tausende fielen in
Zellen, in unterirdischen Verliesen, in Kellern und Gewölben. Das wird nicht
vergessen werden, es muß Eingang finden in das Denkmal. Und deshalb gibt es
einen Teil unter der Erde, ein Grab auch und eine Krypta, einen Ort des
Gedenkens, nicht aber des Niederdrückens.
Gut also: Die Arbeiterbewegung ist nicht nur in der
Gegenwart, hat nicht nur Geschichte, sondern sie kennt auch Zukunft, sie hat
einen unbezwungenen Optimismus. Er gründet sich doppelt: Auf die Einsicht in
die Gesetzlichkeit der Geschichte, viel mehr aber auf das Wissen um die eigene
Kraft und auf ihren Willen. Sie entfaltet sich nur in der Masse, gemeinsam, in
der Einheit geballt. Und so steht die Faust als Zeichen der Zukunft, des Sieges
und des Optimismus, als Zeichen für das Morgen.
Die Theorie wird materielle Gewalt, wenn sie die Massen
ergreift. So wird es mit diesem Denkmal sein: Ergreifen wir seine Idee, machen
wir sie zur materiellen Wirklichkeit.“
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Am 16. April 1886 wurde Ernst Thälmann am Alten Wall 68 in der
Hamburger Altstadt geboren. Als junger Mann arbeitete er im Hafen als
Kohlentrimmer und Bauhandlanger. Seit 1919 war er Mitglied der
Hamburger Bürgerschaft; 1925 wurde er Vorsitzender der KPD.
1933 wird Ernst Thälmann eingekerkert und kommt nie wieder frei;
auf Befehl Himmlers wird er von den Nazis am 18. August 1944 im
Konzentrationslager Buchenwald erschossen.
1946 beschließt die Hamburger Bürgerschaft einstimmig, eine
Straße in Hamburg nach dem KPD-Vorsitzenden zu benennen. Schon
zehn Jahre später jedoch wird die Ernst-Thälmann-Straße
in Budapester Straße umbenannt.
Am 11. April 1985 wird der Platz vor dem ehemaligen Wohnhaus von Ernst
Thälmann – unter Protest der CDU, unterstützt durch die
Springer-Presse – in Ernst-Thälmann-Platz umbenannt. In
Wirklichkeit jedoch handelt es sich nicht um einen Platz, sondern ein
Überbleibsel aus Verkehrs- und Stadtversorgungsplanungen. Auf der
dreieckigen, etwa 900 m2 großen Restfläche stehen in
Elektrizitätshaus, ein Container der Gasgesellschaft, eine
Litfasssäule, Telefonzellen und Autostellplätze; eine
zerbröckelnde Betonplatte, von rostigem Geländer eingerahmt,
verdeckt den Eingang zu einem Bunker.
Zum 100. Geburtstag Ernst Thälmanns finden am 16. April 1986 in
vielen Städten der Bundesrepublik Gedenkveranstaltungen statt.
Am 8. Mai 1986 weihen Helga Schuchardt, Kultursenatorin, und Klaus von
Dohnanyi, Bürgermeister, den ersten Abschnitt des neuen Denkmals
von Alfred Hrdlicka ein, das als „Gegendenkmal“ in der
Nähe des kriegsverherrlichenden sog. „76er
Kriegerdenkmal“ am Dammtorbahnhof entstehen soll.
Der „Eppendorfer Bürgerverein von 1875“ ruft zum Protest gegen das geplante Ernst-Thälmann-Denkmal auf.
Die CDU fürchtet „um das Ansehen des Standorts
Hamburg“, die Grün-Alternativen sehen dagegen „keine
Probleme“.
Am 15. Mai 1986 verurteilt die Große Strafkammer des Landgerichts
Krefeld – nach 31 Verhandlungstagen, der Vernehmung von 43
Zeugen, einem Ortstermin im ehemaligen KZ Buchenwald und nach
Recherchen im US-amerikanischen Nationalarchiv in Washington –
den ehemaligen SS-Oberscharführer Wolfgang Otto (75) wegen
Beihilfe an der Ermordung Ernst Thälmanns zu vier Jahren Haft. Zu
der Zeit, als Ernst Thälmann im Krematorium von Buchenwald von der
SS erschossen wurde, war Otto war für die
ordnungsgemäße Führung der Exekutionslisten
verantwortlich. Im Buchenwald-Prozeß 1947 vor dem
US-Militärgericht in Dachau und in Vernehmungen im Jahre 1963
hatte er bereits zugegeben, sowohl als Schütze bei
Erschießungen von ausländischen Häftlingen und des
ehemaligen KZ-Kommandanten Koch beteiligt gewesen zu sein (und war
dafür zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden.) Nun gab er zu, in
einigen Fällen selbst dabeigewesen zu sein, die Identität der
Todeskandidaten festgestellt und den Vollzug des Mordes
anschließend gemeldet zu haben.
Zum geplanten Thälmann-Denkmal schreibt Klaus von Dohnanyi, Erster
Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, am 15. Juli 1986
in einem Brief an die Lagergemeinschaft Ravensbrück, einen
Zusammenschluß ehemaliger Frauenhäftlinge aller politischen
und religiösen Anschauungen: „Es wird ein solches Denkmal
auf einem öffentlichen Platz in Hamburg nicht geben.“
Im September 1986 bezeichnet die Fraktionsvorsitzende in der
Bezirksversammlung Nord, Ilse Baseler (CDU), die Idee der DKP, vor dem
einstigen Wohnhaus Ernst Thälmanns an der Tarpenbekstraße
eine zwölf Meter hohe geballte Steinfaust aufzustellen als
„absurde Gigantomanie“. Jede Ehrung des KPD-Chefs, so Ilse
Baseler, sei „ein Schlag ins Gesicht aller Demokraten“.
Im Oktober 1986 weiht Michail Gorbatschow zusammen mit Erich Honecker
sowie den Vorsitzenden von DKP und SEW, Mies und Schmitt, das neue
Ernst-Thälmann-Denkmal in Moskau ein. „Hamburg wird kein
Thälmann-Denkmal bauen,“ teilt unterdessen
Bürgermeister von Dohnanyi Bürgern, die sich bei ihm
über eine drohende Thälmann-Verherrlichung beschweren,
schriftlich mit.
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